GEWerkschaftliche Reformansätze

Die GEW hat frühzeitig einen Diskurs über die LehrerInnenbildung eröffnet. Sie fordert eine vom professionellen Selbstverständnis der LehrerInnen am Arbeitsplatz Schule ausgehende Reform...

und lehnt Differenzierungen nach Lehrämtern z. B. bei der Dauer des Studiums ab.

Kritik

Die universitäre Lehramtsausbildung steht seit den 1990er Jahren in der Kritik. Die wesentlichen strukturellen und inhaltlichen Ausbildungsmängel sind:

  • Defizite in den einzelnen Studienanteilen (Erziehungswissenschaft, Fachdidaktik und Fachwissenschaft) und in ihrem Verhältnis zueinander,
  • ineffektive Studien- und Prüfungsorganisation,
  • keine institutionelle Verortung des Studiums als Querschnittsaufgabe verschiedener Fakultäten bzw. Fachbereich an der Hochschule,
  • fehlende Berufsfeldorientierung und fehlender Praxisbezug im Studium,
  • zu wenig berufsfeldbezogene Forschungsaktivitäten,
  • Abschottung der Ausbildungsphasen statt Verzahnung von Studium und Vorbereitungsdienst,
  • unterentwickelte Fort- und Weiterbildungskonzepte sowie mangelnde Kooperation zwischen Schule und Hochschule in der Weiterbildung.

Die LehrerInnenausbildung in der BRD ist wie fast alle Bereiche der Bildungspolitík Ländersache; die Ausbildung ist demnach in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Lehramtsstudiengänge sind überwiegend an Universitäten angesiedelt, in Baden-Württemberg auch an Pädagogischen Hochschulen. In Kooperation mit Universitäten bzw. Pädagogischen Hochschulen werden Studiengänge für das berufliche Schulwesen auch von Fachhochschulen angeboten.

 

Reformansätze

In der Defizitbeschreibung herrscht breites Einvernehmen unter den Sachverständigen und den hochschulpolitischen Akteuren. Bei den Vorschlägen zur Beseitigung der Mängel gibt es jedoch erhebliche Unterschiede mit verschiedenartiger Schwerpunktsetzung auf inhaltlichen oder strukturellen Reformansätzen. Wie die chronologische Übersicht zur bundesweiten Reformdebatte über die LehrerInnenbildung erkennen lässt, gibt es bis heute kein länderübergreifendes Gesamtkonzept zur Neugestaltung des Lehramtsstudiums und der späteren Ausbildungsphasen.

Der Reformeifer und die Bereitschaft, sich auch mit dem Lehramtsstudium am "Bologna-Prozess" zu beteiligen, sind in den 16 deutschen Bundesländern ebenfalls unterschiedlich stark ausgeprägt. Vielerorts wurden die Lehramtsstudiengänge bereits versuchsweise auf die neue Studienstruktur mit den Abschlüssen "Bachelor" (BA) und "Master" (MA) umgestellt. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat im Frühjahr 2006 in einer bundesweiten Übersicht erhoben, an welchen Hochschulen die Lehramtsstudiengänge auf BA-/MA-Strukturen umgestellt sind oder werden.

Im wesentlichen haben sich zwei unterschiedliche Studiengangmodelle herausgebildet, in denen entweder

  • alle Studienanteile (Erziehungswissenschaft, Fachdidaktik und Fachwissenschaft) grundständig sowohl in der BA- als auch in der MA-Phase studiert werden oder
  • die BA-Phase einen fachwissenschaftlichen Schwerpunkt hat und damit die Studierenden nicht nur für das Lehramt, sondern auch für andere Berufsfelder qualifiziert. Man spricht deswegen vom polyvalenten, d. h. in mehrfacher Hinsicht verwertbaren, BA, an den für das Lehramt eine MA-Phase mit erziehungswissenschaftlichem und fachdidaktischem Schwerpunkt angeschlossen wird.

Diese beiden Modelle (integrativ oder sequenziell) werden von Martin Winter im Arbeitsbericht 3/2004 des Instituts für Hochschulforschung Wittenberg (HoF) vorgestellt und erläutert.

 

Sachstand in den Bundesländern

Nach Modellversuchen zunächst an ausgewählten Hochschulstandorten (z.B. Greifswald, Bielefeld, Bochum, Braunschweig, Hannover, Hildesheim, Oldenburg, Osnabrück, Erfurt) wurden in den Ländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen die Lehramtsstudiengänge vollständig auf die neue Studienstruktur umgestellt, in Nordrhein-Westfalen hat die Umstellung 2009 begonnen (zuvor hatte es einen Modellversuch gegeben). Es gibt aber auch noch mehrere Bundesländer, in denen vorerst nur die traditionellen Lehramtsstudiengänge angeboten werden sollen: Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland. In Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg sind bislang allein in den Studiengängen für das Lehramt an Berufsbildenden Schulen die neuen BA/MA-Abschlüsse eingeführt, in Thüringen ist das Lehramt an Gymnasien ausgenommen. Auch der Umgang mit dem Staatsexamen wird von den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Im Rahmen der neuen BA/MA-Lehramtsstudiengänge ersetzt in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (zunächst nur für die Dauer des Modellversuchs) und Schleswig-Holstein der universitäre MA-Abschluss das erste Staatsexamen. In Thüringen ist die Gleichwertigkeit von Hochschul- und Staatsprüfung noch umstritten. In Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz (unter erheblicher Anrechnung des MA-Prüfung) und Sachsen-Anhalt wird zusätzlich zur MA-Prüfung eine Staatsprüfung verlangt. Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Sachsen-Anhalt wollen bis auf weiteres an der herkömmlichen Staatsprüfung festhalten.

 

GEWerkschaftlicher Reformansatz

Die Positionsbestimmung der GEW zur LehrerInnenbildung erfolgt in Abstimmung zwischen den Vorstandsbereichen Hochschule und Forschung, Schule sowie Berufliche Bildung und Weiterbildung. Aus Sicht der GEW ist der gegenwärtige Stand der Dinge vor allem für die Studierenden und LehramtsanwärterInnen eine Zumutung. Aus politisch gewollter Vielfalt im Studienangebot einzelner autonomer Hochschulen und Bundesländer ist ein großes Durcheinander geworden. Das Ziel einer substanziell verbesserten LehrerInnenbildung scheint gelegentlich aus dem Blick geraten zu sein und ist noch längst nicht erreicht.

Die gewerkschaftlichen Anforderungen an die Reform der LehrerInnenbildung gehen vom professionellen Selbstverständnis der LehrerInnen am Arbeitsplatz Schule aus. Daraus leiten sich für die GEW Strukturelemente und Inhalte eines reformierten Studiums ab. Mit der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (DGfE) plädiert die GEW für ein mindestens achtsemestriges Studium für alle lehrerbildenden Ausbildungsgänge, in dem die bildungs- und berufswissenschaftlichen Studienanteile grundständig integriert sind. Dem sequenziellen Modell (polyvalenter fachwissenschaftlicher BA + MA in Fachdidaktik und Pädagogik) hat die GEW eine ebenso klare Absage erteilt wie dem Zweiklassensystem bei den Lehrämtern (kürzer ausgebildete und schlechter bezahlte Grundschul- oder AssistenzlehrerInnen mit BA und Gymnasial- und Berufsschullehrer mit höherwertigem MA). Auch der Deutsche Lehrerverband, der Allgemeine Fakultätentag, der Mathematisch-Naturwissenschaftliche sowie der Philosophische Fakultätentag und der Deutsche Hochschulverband haben in einer gemeinsamen Resolution vom 11.07.2005 die Auffassung vertreten, dass nur ein Master-Abschluss die Voraussetzungen zum Lehrerberuf vermittelt.

Die GEW hat frühzeitig einen Diskurs über die Reform der LehrerInnenbildung eröffnet: In der GEW-Sommerschule 1998 ist unter der Überschrift „Polyvalenz und Professionalität“ eine Bestandsaufnahme vorgelegt worden, die wesentliche Aussagen der Terhart’schen Defizitanalysen vorweggenommen hat. Der Geschäftsführende Vorstand der GEW hat am 07.10.1998 „Anmerkungen der GEW zu den Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz zur LehrerInnenbildung vom 20.01.1998“ beschlossen. Darin begründet die GEW ausführlich ihre ablehnende Haltung gegen die Zersplitterung der LehrerInnenbildung durch teilweise Verlagerung der Studienangebote für Primar- und BerufsschullehrerInnen an die Fachhochschulen. Die GEW hat auch zu den 1999 vorlegten Ergebnissen der von der Kultusministerkonferenz (KMK) eingesetzten ExpertInnen-Kommission unter der Leitung von Ewald Terhard eine Stellungnahme abgegeben.

Der GEW-Vorstandsbereich Hochschule und Forschung hat eine GEW-Projektgruppe und eine GEW-Lenkungsgruppe „LehrerInnenbildung“ eingesetzt. Sie hat an zahlreichen Veranstaltungen in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgewirkt. Die Themen reichten von der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in der LehrerInnenbildung bis zur Entwicklung von Lehrerbildungszentren an den Hochschulen. Auch wurden Fragen der Kompetenzentwicklung im Lehramtsstudium bearbeitet sowie Lerncurricula und Standards diskutiert.

Nach vielen regionalen Foren ist im Februar 2000 die Hamburger GEW-Konferenz zur LehrerInnenbildung „Lernen verändern - Verändern lernen“ mit dem Ziel durchgeführt worden, Orientierungspunkte, so etwas wie eine gewerkschaftliche Messlatte für die anstehenden Veränderungen, zu entwickeln. Im Juni 2001 hat der GEW-Hauptvorstand daraus abgeleitet „14 Eckpunkte der GEW zur Reform der LehrerInnenbildung“ beschlossen. In einer Vielzahl von Gesprächen mit der KMK hat die GEW immer wieder einen breit angelegten Diskurs zum Thema „Lehrerleitbild“ eingefordert. Zu den „Ländergemeinsamen Strukturvorgaben ... für die Akkreditierung von BA/MA-Studiengängen“ der KMK vom 10.10.2003 hat die GEW Stellung bezogen. Sie hat darauf gedrungen, dass die von der KMK beratenen „Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“ um Aussagen zu den Fachwissenschaften und Fachdidaktiken erweitert werden.

Intensiv hat sich die GEW mit der international vergleichenden OECD-Studie „Attracting, Developing and Retaining Effective Teachers“ der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) auseinandergesetzt. Gleich zu Anfang ist die GEW – erfolgreich – dafür eingetreten, dass sich Deutschland an dieser Studie beteiligt. Dann hat die GEW mit einer ausführlichen Stellungnahme auf Korrekturen in dem von der KMK vorgelegten „Nationalen Bericht“ gedrängt. Der daraufhin überarbeitete und ergänzte „Nationale Bericht“ ist wiederum Grundlage eines Audit-Verfahrens in vier Bundesländern gewesen, an dem die entsprechenden GEW-Landesverbände – gut vorbereitet – beteiligt worden sind. Am 26./27.11.2004 hat die GEW in Bielefeld ein Forum LehrerInnenbildung durchgeführt, in dem beide Berichte zum ersten Mal in Deutschland unter Beteiligung von OECD-AutorInnen präsentiert worden sind. Auch das European Trade Union Committee for Education (ETUCE) hat im Januar 2005 eine Anhörung zu den Konsequenzen aus der OECD-Studie veranstaltet.

Im März 2005 hat der GEW-Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten (BASS) mit seinen „Allgemeinen Eckpunkten zur LehrerInnenausbildung einen wichtigen Diskussionsbeitrag geliefert. Der Gewerkschaftstag im April 2005 hat ein „GEW-Aktionsprogramm zur LehrerInnenbildung“ verabschiedet. Darin fordert die GEW, u. a. einen nationalen Rat zur LehrerInnenbildung einzurichten, um endlich zu einem länderübergreifenden Reformkonzept zu kommen.
Im Oktober 2005 hat die GEW ihre Gremienmitglieder aus verschiedenen Bildungsbereichen auf Bundes- und Landesebene mit ExpertInnen zu einem kritischen Dialog über die KMK-Eckpunkte zur gegenseitigen Anerkennung von BA- und MA-Abschlüssen in den Lehramtsstudiengängen vom Juni 2005 eingeladen. Im März 2007 kritisierte der GEW-Hauptvorstand die KMK-Beschlusslage. Die GEW forderte eine einheitliche Ausbildungsdauer für alle Lehrerinnen und Lehrer – unabhängig von Schulart und Schulstufe – im Umfang von 300 ECTS-Punkten (zehn Semester). Ebenfalls im März 2007 verabschiedete der Hauptvorstand das von der Projektgruppe LehrerInnenbildung erarbeitete Diskussionspapier „Anforderungen an Zentren für LehrerInnenbildung (ZfL)“. Am 13. November 2010 bzw. am 5. März 2011 beschloss der Hauptvorstand in zwei Teilen ein „Sofortprogramm für den Lehrerinnen- und Lehrernachwuchs“.